sozialraumerkennung


„Projekt Sozialraumerkundung“ im Rahmen der Teilhabeplanung im Landkreis Weilheim-Schongau

Ausgangssituation: Der soziale Raum ist der durch soziale Beziehungen gestaltete Raum. Entgegen den Vorstellungen, dass der Raum etwas dem sozialen Handeln Vorgegebenes sei, muss betont werden, dass räumliche Strukturen durch soziales Handeln entstehen. Sie stehen dem Handelnden zugleich als Rahmenbedingungen für die Gestaltung des Alltags gegenüber.
Das Leben aller Menschen wird ganz wesentlich dadurch strukturiert, wo und wie die Orte, die sie zur Gestaltung ihres Alltages nutzen, in ihrem Lebensumfeld angeordnet sind. Dabei geht es einerseits um Fragen der Erreichbarkeit und der Möglichkeiten die Orte zu verbinden und andererseits um Fragen der Wahrnehmung und Bewertung des Lebensumfeldes. Dabei wird schnell klar, dass die Lebenslage von Menschen mit Behinderung dadurch gekennzeichnet ist, dass die Bewältigung ihres Lebensalltages einerseits erhöhte Anforderungen an die sozialräumliche Gestaltung stellt (z. B. Barrierefreiheit, Verfügbarkeit von Unterstützungsangeboten) und andererseits die materiellen Ressourcen zur Gestaltung des Lebensumfeldes in der Regel begrenzter sind als die anderer Bevölkerungsgruppen.
Mit dem Ansatz der Teilhabe wird in dreifacher Hinsicht auf soziale Räume bezug genommen. Erstens durch die Gestaltung von Orten, die Gestaltung von Angeboten und Verfahren und die Gestaltung von individuellen Hilfen. Damit erweist sich die Sozialraumorientierung als geeigneter Ansatz, um die auf Zugänglichkeit zielenden Aktivitäten auf der Grundlage des Benachteiligungsverbotes, die Neuausrichtung professioneller Hilfen im Sinne offener Hilfen und die auf systematische Veränderungen von Strukturen und Verfahren zielenden Ansätze der Teilhabeplanung zusammenzuführen.
Eine zentrale Dimension für die Möglichkeiten der Teilhabe ist der soziale Nahraum. Dieser ist jedoch für Menschen mit Behinderung allerdings zumeist dadurch gekennzeichnet, dass ihnen Zugänge verwehrt bleiben. Hindernisse für Menschen mit Behinderung bestehen zum Beispiel dort, wo schwer verständliche Sprache genutzt wird, die sie nicht oder nur mit Unterstützung verstehen können, oder wo Treppenstufen es Rollstuhlfahrern oder gehbehinderten Menschen deutlich erschweren bzw. unmöglich machen, in ein Gebäude zu gelangen. Nicht selten stehen ihnen auch die Unterstützungsangebote, die sie für ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben im Gemeinwesen benötigen, nicht zur Verfügung. Erkenntnisse darüber, wo solche Hindernisse in unserem Landkreis existieren wurden in einem innovativen Projekt zur Sozialraumerkundung gewonnen. Es wurde vom Zentrum für Planung und Evaluation sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen mit Unterstützung des Beirats für Menschen mit Behinderung ins Leben gerufen. In Kooperation mit der Fachakademie für Sozialpädagogik der Don Bosco Schwestern Rottenbuch, der Evangelischen Fachschule für Heilerziehungspflege, der Don-Bosco-Förderschule und dem Bereich von Menschen mit Behinderung der Herzogsägmühle führte das ZPE ein Projekt zur Sozialraumerkundung von Menschen mit und ohne Behinderung durch.
Das Projekt verfolgt vier Ziele:
1. Die Erprobung partizipatorischer Elemente der individuellen und örtlichen
Teilhabeplanung.
2. Die Entwicklung einer sozialraumorientierten Haltung auf Seiten der Mitarbeiter/innen
der Behindertenhilfe.
3. Die Aktivierung von Menschen mit Behinderung hinsichtlich der Wahrnehmung ihres
sozialräumlichen Unfeldes.
4. Die Unterstützung von Verselbständigungsprozessen von Menschen mit Behinderung.
Im März nahmen 28 Teilnehmer am Einführungsseminar teil. Auf der Grundlage einer theoretischen Einführung in leichter Sprache wurden die Teilnehmer und Teilnehmerinnen in die wechselseitige Erkundung ihrer Sozialräume eingeführt. Die Erkundung wurde in Zweier-Gespannen von Menschen mit und ohne Behinderung durchgeführt und am 12. April in einem Auswertungsseminar vorgestellt, diskutiert und dokumentiert. Auf riesigen Plakaten entstanden „subjektive Landkarten“ . Mit grafischen Elementen und Fotografien wurde die Ausgestaltung des sozialen Nahraums in bezug auf die Lebensbereiche Wohnen, Arbeit und Freizeit dargestellt. Schnell wurde deutlich, dass sich die Lebensbereiche und Interessen der Teilnehmer sehr ähneln. Menschen mit Behinderung sind jedoch in ihrem Aktionsfeld deutlich eingeschränkter. So ist etwa das zentrale verbindende Moment für die einzelnen Lebensbereiche der Menschen ohne Behinderung das Auto, mit dem sie in der ländlichen Region auch weiter entfernte Orte vergleichsweise gut erreichen können. Für Menschen mit Behinderung bleibt an dieser Stelle vielfach nur der Öffentliche Personennahverkehr, wenn Sie keine Mobilitätshilfe im Rahmen der Sozialhilfe bekommen. Oftmals ist zudem die Beförderung nur in Begleitung eines Assistenten, der meist nicht individuell zur Verfügung steht, nutzbar. Schlechte Taktung der Beförderungsmöglichkeiten sowie keine barrierefreie Zugänglichkeit sind weitere Barrieren. Dies führt dazu, dass sich die Möglichkeiten der Lebensgestaltung meist auf einen viel kleineren Raum beziehen, wie dies bei Menschen mit Behinderung der Fall ist. Das Auswertungsseminar diente zugleich der Vorbereitung eines Fachforums am 19 Juni im Landratsamt, in dem diese Ergebnisse vorgestellt und mit weiteren Menschen mit Behinderung, Mitarbeiter/innen der Behindertenhilfe und vor allem politisch Verantwortlichen diskutiert wird.
Schlussendlich sollen ab Herbst in sogenannten regionalen Teilhabekreisen Maßnahmen ergriffen werden, die geeignet sind, die vorhandenen Barrieren so weit wie möglich und beeinflussbar, zu überwinden.

Kontakt:
Landratsamt Weilheim-Schongau -Behindertenbeirat-
Peter Pabst (Behindertenbeauftragter)
pabst@caritas-wm-sog.de